Trotz erheblicher Bürgerproteste und fachlicher Unterstützung durch das AlleenForum Sachsen e. V. wurden in Wurzen 80 vitale, über 100 Jahre alten Linden entlang der Staatstraße 11, Abschnitt Eduard-Schulze-Straße gefällt. Hinzu kamen 15 weitere alte Linden entlang der Hirschbergstraße. Bereits 2019 fiel eine andere markante Allee von 21 Platanen ohne nachvollziehbare fachliche Begründung den Kettensägen zum Opfer.
Die Fällungen entlang der S11 wurden mit der bereits erfolgten „Planfeststellung“ gerechtfertigt, obwohl die Allee den Straßenbau nicht behinderte. Die Planung sah sogar vor, die Fahrbahnbreite von 8,5 auf 6,5 Meter zu reduzieren, was die Fällung der Alleebäume noch weniger nachvollziehbar erscheinen lässt. Schlüssige bautechnische Argumente für das Entfernen der Bäume fehlten. Lediglich die falsche Behauptung, dass die Wurzeln der Bäume in den Straßenkörper reichen würden und daher der Baumerhalt gefährdet sei, weshalb vorsorglich gefällt werden muss, wurde beiläufig erwähnt, ohne dies durch – in solchen Fällen vorgeschriebenen Wurzelsuchgrabungen – zu untersetzen. Besonders kritisch ist zudem, dass Ersatzpflanzungen nicht direkt an der betroffenen S 11 erfolgen sollen, sondern an anderen, oft nicht vergleichbaren Standorten
Der Widerstand gegen diese Maßnahmen formierte sich erst relativ spät. Die Bürgerinitiative „Bäume und Stadtgrün für Wurzen“ setzte sich vor Ort für den Erhalt der Alleebäume ein und wurde vom AlleenForum Sachsen e. V. fachlich unterstützt. In einer gutachterlichen Stellungnahme vom 2. Januar 2023 lieferte das AlleenForum Vorschläge für eine umwelt- und stadtgerechte Straßengestaltung entlang der Staatsstraße 11. Diese Ansätze hätten nicht nur den Erhalt der Allee gewährleistet, sondern auch negative Auswirkungen wie die Schaffung eines vollversiegelten, schattenlosen Straßenraums vermieden.
Während das Sächsische Landesamt für Straßenbau und Verkehr (LASuV) auf die Stellungnahme reagierte, allerdings abweisend, blieb eine Antwort der Stadt Wurzen aus. Eine Analyse der Planunterlagen offenbarte erhebliche Schwächen: Weder der gesunkene Lkw-Verkehr noch der gewachsene Radverkehr wurden berücksichtigt. Auch ein dringend notwendiger Paradigmenwechsel im Umgang mit Regenwasser fand keine Berücksichtigung. Stattdessen lag der Fokus primär auf der Flüssigkeit des Kfz-Verkehrs – zulasten des öffentlichen Nahverkehrs und der städtischen Lebensqualität.
Am 18. November 2023 informierte Dr.-Ing. Ditmar Hunger, Vorsitzender des AlleenForums Sachsen, in einem Vortrag vor interessierten Bürger:innen über die Problematik. Nur wenige Wochen später, am 28. November 2023, gab das AlleenForum eine Stellungnahme zu den geplanten Baumfällarbeiten entlang der Hirschbergstraße ab. Dennoch wurden die Fällungen in der Eduard-Schulze-Straße am 16. Januar 2024 umgesetzt und bereits zwei Wochen später folgten die Bäume an der Hirschbergstraße.
Das Fällen der Alleebäume ist angesichts fehlender technischer Notwendigkeit, der ökologischen Verluste und der Verschlechterung der Lebensqualität absolut unverständlich. Die alten Linden als natürliche Klimaanlage spendeten Schatten und verbesserten die Luftqualität. Ihre Beseitigung steht im Widerspruch zu den Anforderungen an eine klimaangepasste und lebenswerte Stadt.
Auch die mangelnde Einhaltung der Baumschutzsatzung, das Fehlen adäquater Ersatzpflanzungen und die Ignoranz gegenüber den Anliegen der Bürger:innen offenbaren ein erhebliches Defizit in der städtischen Planungskultur. Die behauptete Bereitschaft zu einer konstruktiven Zusammenarbeit zwischen Stadtverwaltung und Öffentlichkeit hat sich in der Praxis nicht bewahrheitet.
Die Bürgerinitiative „Bäume und Stadtgrün für Wurzen“ und das AlleenForum Sachsen e. V. luden schließlich am 25. März 2024 zu einer Informations- und Diskussionsveranstaltung ein, nachdem zuvor ein vorheriger gemeinsamer Termin mit dem Stadtrat gescheitert war. Dies u. a. deshalb, weil der Oberbürgermeister wünschte, dass nicht über die Vergangenheit, sondern nur über zukünftiges baumgerechtes Planen gesprochen werden sollte. Unter dem Titel „Stadtgrün und Straßenraumgestaltung – pro Lebensqualität und Klimaschutz“ referierte Dr.-Ing. Ditmar Hunger über die Bedeutung des urbanen Grüns und die Gestaltungsmöglichkeiten, die den Ansprüchen von Klimaschutz und Lebensqualität gerecht werden. Ziel der Veranstaltung war es, eine offene Diskussion über die Zukunft der Straßenbäume in Wurzen anzustoßen und gemeinsam konstruktive Lösungen zu erarbeiten. Basis dafür ist aber, vergangenes Planen und Umsetzen zu analysieren gemäß dem Grundsatz: Wer die Welt verändern will, muss sich mit der Historie befassen und daraus Schlüsse für zukünftiges Handeln ziehen. Das WIESO, WARUM und WESHALB zu analysieren, ist die Basis für zukünftiges BESSERMACHEN bzw. Fehlervermeidung. Zuletzt wurde im Vortrag ein Maßnahmenkatalog pro städtischer Lebensqualität und somit für ein grüneres Wurzen unterbreitet, in dessen Mittelpunkt das Erstellen einer integrierten Straßenbaum- und Straßenraumgestaltungskonzeption steht. Inwieweit anwesende Stadtverordnete die Thematik aufgreifen und an die Stadtverwaltung herantragen, ist offen. Ein Fernsehbeitrag des MDR-Sachsenspiegels befasste sich mit der Thematik, wobei Cornelie Hanspach, Stadtsprecherin von Wurzen die Baumfällungen so begründete: die Baumwurzeln hätten die Gehwege sowie teilweise die Fahrbahn angehoben, stünden zu nahe an der Fahrbahn und hätten eine Fällung alternativlos gemacht. Dass diese Darstellung falsch ist, wurde durch Dr. Hunger vom AlleenForum in der gleichen Sendung widerlegt und die Wurzelthematik erläutert.
An der S 11 vorläufig gerettet ist eine ehrwürdige alte Esche, die nach Expertise des AlleenForums entgegen den Behauptungen des Straßenbaulastträgers vital und erhaltenswürdig ist und den Straßenausbau nicht beeinträchtigt. Leider wurde hier die vom AlleenForum angebotene Wurzeluntersuchung von der Stadt nicht in Anspruch genommen. Das AlleenForum wird gemeinsam mit der BI „Bäume und Stadtgrün für Wurzen“ weiterhin versuchen, die Esche zu retten.